Der Fixer
Die WM neigt sich dem Ende zu. Millionen von Zeilen sind während dieses Zeitraums von tausenden Journalisten aus nahezu allen Ländern der Welt geschrieben worden. Auch ecke:sócrates gehört dazu. Doch wie gelangen die Journalisten an ihre Geschichten, wie die TV-Sender an ihre Bilder, wenn es um heiklere Themen als Faninterviews geht? Ein Porträt über einen Mann, der diese Berichte möglich macht – von ecke:sócrates Gastautor John Hennig.
(São Paulo)
Es dauert keine halbe Stunde, dann antwortet er. Eigentlich immer, sagt Caio Vilela. Es ist mitten in der Nacht in der Multi-Millionen-Metropole Sao Paulo. Die nächste Nachricht folgt keine vier Stunden später, direkt nach dem Aufstehen. Schnell wird ein Treffpunkt verabredet.
Ein paar Anrufe und Kurznachrichten später sitzen plötzlich fünf Männer in Vilelas weißem Pickup. Einer muss sich auf die sporadischen Kindersitze hinter der Rückbank zwängen. Sie kennen sich gegenseitig nicht allzu gut. Vilela hat sie zusammengeführt. Und bringt sie nun ans andere Ende der Stadt. In Itaquera, dem Stadtteil, in dem die neue Arena für die Weltmeisterschaft errichtet wurde, ist er einer Geschichte auf der Spur. Für den dänischen Fernsehsender TV2 geht er in Vorrecherche und sucht einen Jungen, der durch den Stadionneubau umgesiedelt wurde. Es wird nur ein kurzer Beitrag. Trotzdem wird ein halber Tag drauf gehen. Also warum nicht gleich mit weiteren Projekten verbinden?
Vilela ist rastlos. 44 Jahre alt, runde intellektuell wirkende Brille, großer Jazzfan, im hippen Ausgehviertel Vila Madalena lebend, allerdings einen Block entfernt vom nächtlichen Trubel. Für Parties hat der Vater dreier Söhne keine Zeit. Studiert hat er Geographie, von dort aus hat er sich treiben lassen, in die ganze Welt, zunächst für Zeitungen und Magazine wie National Geographic, den Rolling Stone oder Playboy.
Gerne erzählt er von seinen Reisen, in den Iran, nach Nepal, in die Antarktis. Vilela fing an, die Trips immer professioneller zu dokumentieren. Vor etwas mehr als zehn Jahren fragte dann das finnische Staatsfernsehen Yle bei ihm an, ob er sie bei einem Beitrag in Brasilien unterstützen könne. Der passionierte Reiseführer musste nicht lange überlegen. Zumal eine weitere Geschäftsidee für den Autoren und Fotografen geboren war. Seither führt er Fernsehteams aus aller Welt an Orte und zu Personen in Brasilien, an die sie ohne ihn nicht kommen würden.
Vilela ist ein Fixer. »Stringer sagen irgendwie nur die Deutschen«, weiß er von seinen Drehs mit Arte und der ARD. Das Wort möge er aber nicht. Der Fixer arbeitet Ablaufpläne und Reiserouten aus, sucht die passenden Kontakte und Orte, klärt die Drehgenehmigungen, kümmert sich um den Transport und die Sicherheit, übersetzt und dokumentiert. »Wenn ich einen Job mache, dann zu hundert Prozent. Am Ende stehe ich nahezu rund um die Uhr bereit, um etwas zu klären.« Maximal zehn solcher Aufträge nehme er pro Jahr an. Auch, weil er noch genug Zeit für seine anderen Projekte haben möchte. Den Fernsehsendern legt er dann seine Rechnung vor: »Meist streichen sie raus, was sie nicht brauchen oder worum sie sich lieber selbst kümmern wollen.« Oft vertrauen sie sich aber komplett ihrem Kontaktmann an.
Sein Leben ist ein ständiges Geben und Nehmen, ein Netzwerken, ein Tippgeben. Hinten links auf der Rückbank sitzt deshalb Ederon Marques. Er hat auf Vilelas Aufruf bei Facebook hin den Tipp gegeben. Mehr als 3700 ´Freunde` hat der Fixer auf seiner bevorzugten Plattform, zwanzig Antworten bekam er auf sein Gesuch. Dem Tipp von Marques geht er nun nach. Eine Fahrstunde später stehen sechs Männer etwas unbeholfen in einem Hinterhof eines brasilianischen Sozialbaus.
Und weitere zehn Minuten später in der kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung von Vinicius und seiner Mutter. Geld wollen sie keines, sagt Vilela: »Sie wollen sich zeigen, im Fernsehen, das ist ihnen wichtiger.« Auch Marques müsse er nicht bezahlen. Wenn es in die Favelas geht, plane er die lokale Unterstützung dagegen im Budget mit ein. 400 Reais, etwa 130 Euro als Tagessatz, für Führer. Bei Fernsehsendern, konkretisiert Vilela redselig. »Ein guter Anlaufpunkt sind immer soziale Einrichtungen oder Missionen, die die Leute gut kennen. Die wissen auch, in welcher Straße man lieber nicht filmt.« Und dass man in Favelas nicht mit zusätzlichen Sicherheitsleuten auftaucht. Passiert sei in all den Jahren noch nie etwas.
Und das Geschäft läuft. Längst hat Vilela zwei Assistenten. »An die gebe ich kleine Aufträge direkt ab, simple Interviews mit Sportlern oder anderen Prominenten.« Er selbst, auch begeisterter Bergsteiger, liebt größere Herausforderungen. Fälle, bei denen er nicht sofort fündig wird, fixen ihn richtig an. »Wir Fixer sind da speziell.« Bislang habe er am Ende jeden Wunsch erfüllt.
Vinicius und seine Mutter zeigen bereitwillig ihre Wohnung, der Junge blättert durch die Cover seiner Videospiele, die Mutter bringt Kaffee und Kuchen. Später geht Vinicius für Vilela mit zwei Nachbarjungs Fußball spielen. Und beim Projekt »Spirit of Football«, das Andrew Aris vom Beifahrersitz anleitet, machen sie auch noch mit.
Ein paar Tage später wird das dänische Team hier drehen.
Text: John Hennig
Zuerst erschienen am 18.06.2014 in der taz.