»Otto hat nach Luft jejapst«

»Otto hat nach Luft jejapst«

Bernd Bauchspieß, Arzt und Leipziger Fußball-Legende, über seine Reise mit der DDR-Mannschaft nach Brasilien, die »Hitzeschlacht unterm Zuckerhut«, und darüber, wie es ist, vor 140.000 Zuschauern ein Tor zu schießen.

 

Bernd Bauchspieß hat in sein »Heiligtum« geladen, einen Kellerraum voll mit Bildern, Wimpeln, Briefen und Zeitungsartikeln. Es sind Zeitdokumente aus einer langen Karriere im DDR-Fußball. Der Raum ist ein passender Ort für eine Fußballgeschichtsstunde. Ein Glas Wasser, das auf dem Tisch steht, füllt er, sobald es nur halbleer ist, sofort wieder auf. Man müsse immer viel trinken, sagt Bauchspieß. Das habe er damals in Brasilien gelernt.

ecke: Herr Bauchspieß, die WM 2014 in Brasilien steht vor der Tür. Sie haben vor exakt 50 Jahren etwas getan, worum sie viele Spieler der deutschen Nationalmannschaft momentan beneiden dürften: Sie erzielten vor 140.000 Zuschauern im Maracanã-Stadion von Rio de Janeiro ein Tor. Wie kam es dazu?

Bernd Bauchspieß: Das ist eine längere Geschichte. Erstmal muss man eines wissen: 140.000 Zuschauer klingt für heutige Verhältnisse unvorstellbar, aber damals passten ja sogar 220.000 Menschen hinein. Das Maracanã war also lange nicht ausverkauft. Aber, um auf ihre Frage zurückzukommen: Alles begann mit einer abenteuerlichen Südamerikareise im Dezember 1964.

ecke: Das war auch das Jahr in der Sie mit der Fußballmannschaft der DDR bei den Olympischen Spielen von Tokio die Bronzemedaille gewonnen haben.

Bauchspieß: Richtig, im Oktober 1964. Ein einmaliges Erlebnis. Ich habe damals sogar ausgerechnet an meinem 25. Geburtstag ein Tor beim ersten Spiel gegen den Iran geschossen. Der Erfolg bei Olympia hat dem internationalen Ruf unserer Mannschaft einen großen Schub gegeben, so dass wir im Anschluss zu einigen Turnieren eingeladen wurden, unter anderem nach Indonesien und Burma. Wenig später folgten dann weitere Einladungen nach Chile, Uruguay und Brasilien. Unser Trainer, der Ungar Károly Soós, wollte diese Südamerikareise dazu nutzen, aus der Olympiamannschaft und der DDR-A-Nationalmannschaft unter Wettkampfbedingungen eine schlagkräftige Truppe für die Qualifikation zur WM 1966 in England zu bilden. Es durften nämlich damals keine Spieler der offiziellen A-Nationalmannschaft bei Olympia antreten, daher kannten wir die etablierten Nationalspieler noch nicht.

ecke: Welche Nationalspieler waren auf dieser Südamerikareise dabei?

Bauchspieß: Das waren unter anderem zur damaligen Zeit große Namen wie der Kapitän Dieter Erler oder die Brüder Roland und Peter Ducke.

ecke: Was passierte auf der Reise?

Bauchspieß: Sie war wie gesagt abenteuerlich. Eigentlich gab es schon vor der Abreise Schwierigkeiten. Es war das erste Mal, dass eine DDR-Mannschaft nach Südamerika flog. Und wer damals ins kapitalistische Ausland wollte, musste zunächst einmal ins Travelbüro nach Westberlin, um sich die Genehmigung zu holen. Die Behörden waren aufgrund dieser Reise sehr skeptisch, es galt schließlich zu dieser Zeit die »Hallstein-Doktrin«…

ecke: …, die von 1955 bis 1969 besagte, dass die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur DDR der Bundesrepublik gegenüber als »unfreundlicher Akt« betrachtet werden müsse. Grund dafür war die Auffassung der westdeutschen Regierung, dass die Bundesrepublik die einzige legitime Vertretung des deutschen Volks sei – und der Versuch einer außenpolitischen Isolierung der DDR.

Bauchspieß: Wir erhielten zwar letztendlich die Genehmigung, durften dann aber doch nicht nach Uruguay, wo unser erstes Spiel stattfinden sollte, einreisen. Also mussten wir in Rio de Janeiro zwischenlanden. Und haben direkt im Maracanã -Stadion übernachtet. Da gab es ein paar Extra-Räume und so war es auf die Schnelle die beste Lösung.

ecke: Felix Magath würde sagen: Eigentlich der perfekte Ort für eine nächtliche Trainingseinheit.

Bauchspieß: Davon hat der Trainer zum Glück abgesehen. Und wir konnten schon am nächsten Tag dann doch nach Uruguay fliegen. Dort haben wir in Montevideo vor 50.000 Zuschauern gegen Uruguay 2:0 gewonnen. Die anschließend geplante Weiterreise nach Chile musste allerdings aus mir schleierhaften Gründen wieder abgesagt werden. Also ging es zurück nach Brasilien.

ecke: Hat man als Spieler mitbekommen, was da hinter den Kulissen gespielt wurde?

Bauchspieß: So gut wie nicht. Wir wurden damals als Diplomaten in Trainingsanzügen gesehen und mussten das tun, was uns gesagt wurde. Mehr war nicht drin. Meiner Meinung nach, heute wie damals, sollte die Politik ihre Hände aus dem Sport herauslassen. Was die Regierungen nicht schaffen, schafft der Sport erst Recht nicht.

ecke: In Brasilien gab es 1964, kurz vor Ihrem Besuch, einen Militärputsch, der zu einer 21 Jahre währenden Militärdiktatur führen sollte. Haben Sie davon etwas mitbekommen?

Bauchspieß: Nein. Wir waren nur wenige Tage dort und haben uns wie gesagt auf den Fußball konzentriert.

ecke: Auch aktuell vor der WM wird der Sport in Brasilien wieder zum Politikum. Die teuren und überwiegend vom Staat finanzierten WM-Stadien gelten als Auslöser der größten Proteste innerhalb der Bevölkerung seit dem Ende der Militärdiktatur. Andererseits versuchen führende Politiker, wie Präsidentin Dilma Rousseff, die WM als erfolgreiches infrastrukturelles Projekt zu verkaufen. Ist eine Trennung von Sport und Politik nicht unrealistisch?

Bauchspieß: Ja, diese Trennung ist Wunschdenken. Ich glaube generell, dass der Sport eine große Macht entfalten kann, vor allem der Fußball, vor allem in Brasilien. Nichts ist den meisten Brasilianern heiliger als der Fußball. Es gab da noch eine Anekdote, die sich damals innerhalb unserer Mannschaft rumsprach: In der einen Nacht, die wir im Maracanã -Stadion verbracht haben, müssen einige Strippen gezogen worden sein. Es wurde jedenfalls gemunkelt, dass der Präsident des Vereins Flamengo Rio de Janeiro, der uns die Unterkunft besorgt hatte, Druck auf den damaligen brasilianischen Präsidenten, Humberto de Alencar Castelo Branco ausgeübt hat: Er habe Castelo Branco einige Zeit zuvor geholfen einen Streik zu beenden, indem er eine große italienische Fußballmannschaft eingeladen habe. Ein Großteil der Streikenden hätte daraufhin den Streik Streik sein lassen und wäre zum Spiel gegangen. Im Gegenzug sollte Castelo Branco unserer Mannschaft nun so schnell wie möglich ein Visum für Uruguay besorgen. Ob das die Wahrheit ist, weiß ich nicht. Jedenfalls waren wir am nächsten Tag in Uruguay.

ecke: Zurück zum Sport: Was geschah nach der Rückkehr nach Brasilien?

Bauchspieß: Wir waren direkt am nächsten Tag zu einem Turnier eingeladen worden. Die Teilnehmer waren der Arbeiterverein Flamengo Rio de Janeiro, dessen Hauptrivale Vasco da Gama, der eher bürgerlich geprägter war und Atlético Madrid. Atlético war damals eine absolute Spitzenmannschaft. Zwei Jahre zuvor hatten sie den Europapokal der Pokalsieger gewonnen und im Tor stand einer zu der Zeit besten Torhüter der Welt: Der Argentinier Edgardo Madinabeytia. Außerdem war die kürzlich verstorbene spanische Trainerlegende Luis Aragonés mit von der Partie. Das erste Spiel haben wir leider um 12 Uhr mittags mit 2:3 gegen Vasco da Gama verloren. Es herrschte eine unvorstellbare Hitze. »Hitzeschlacht unterm Zuckerhut« hieß eine der Schlagzeilen zu diesem Spiel. Da ging jeder Spieler auf dem Zahnfleisch. Unser Laufwunder war damals Otto Fräßdorf, der eigentlich von der Kondition her nicht totzukriegen war. Aber ausgerechnet der war schon nach 30 Minuten breit und hat nach Luft gejapst. Er musste in der Halbzeit beatmet werden. Darauf waren die Brasilianer jedoch gut vorbereitet. Am Spielfeldrand standen mehrere Pritschen mit Sauerstoffmasken.

ecke: Wie ging es Ihnen selbst während des Spiels?

Bauchspieß: Mein Trikot war zur Halbzeit klitschnass und der Gummibund meiner Hose konnte das Wasser nicht mehr halten. Ich habe dann die komplette Garnitur gewechselt.

ecke: Bei der diesjährigen WM soll es aufgrund derartiger Befürchtungen in Ausnahmesituationen Trinkpausen für die Spieler geben. Die deutsche Nationalmannschaft wird zum Beispiel ihr Gruppenspiel gegen Portugal im heißen Nordosten Brasiliens in Salvador um 13 Uhr austragen.

Bauchspieß: Das habe ich in der Zeitung gelesen und halte es für eine sehr gute Idee. Die Sportmedizin hat sich ja mittlerweile auch weiterentwickelt. Bei uns hieß es damals noch: In der Halbzeit möglichst nichts trinken, nur die Lippen benetzen. Und jetzt werden sogar Trinkpausen eingelegt.

ecke: Wie ging das Turnier weiter?

Bauchspieß: Nach dieser unglücklichen Niederlage gegen Vasco da Gama hieß unser zweiter Gegner im Maracanã-Stadion dann Atlético Madrid, wie gesagt vor 140.000 verrückten Zuschauern. Und das obwohl es nur ein Freundschaftsspiel ohne brasilianische Beteiligung war. Atlético war sehr stark und ich habe auf einer für mich ungewohnten Position als Rechtsaußen gespielt. Trotzdem habe ich dann in der 38. Minute auf Hereingabe des schnellen Max Vogel das 1:0 geschossen, flach ins lange Eck.

ecke: Erlauben Sie diese klassische sportjournalistische Frage: Wie fühlt man sich, wenn man vor 140.000 Zuschauern im größten Stadion der Welt ein Tor schießt?

Bauchspieß: Ich konnte es selbst kaum glauben und war heilfroh, dass der Ball drin war. Das war ein ohrenbetäubender Lärm. Das Spiel ging dann 1:1 aus, wir hatten das Finale verpasst. Als Flamengo und Vasco da Gama dieses austrugen, saßen wir schon wieder im Flieger nach Hause. Trotzdem war das für uns alle eine wertvolle internationale Erfahrung.

ecke: Was würden Sie den deutschen Spielern raten, falls sie dieses Jahr tatsächlich einmal vor dieser Kulisse spielen sollten?

Bauchspieß: Möglichst nicht hingucken, sonst werden die Knie wackelig.

Ohrenbetäubender Lärm: Bauchspieß beim Torschuss in Rio (Bild: privat)

Ohrenbetäubender Lärm: Bauchspieß beim Torschuss in Rio (Bild: privat)

ecke: Noch im Jahr 1961 sah es nicht danach aus, als würden Sie jemals bei Olympia oder im Maracanã -Stadion auf dem Platz stehen. Sie wurden vom »Deutschen Fußball Verband« (DFV) für alle Sportclubs innerhalb der DDR gesperrt, was Ihnen den Zugang zu den besten Vereinen verwehrte. Wie kam es dazu?

Bauchspieß: Ich war damals noch sehr jung, hatte gerade erst Abitur gemacht und war dazu im Jahr zuvor noch für die BSG Chemie Zeitz Torschützenkönig in der DDR-Oberliga geworden. Kurz gesagt, ich wurde damals als der kommende Starspieler gehandelt. Daher wurde mir nahegelegt doch zu Dynamo Berlin zu wechseln, was ich dann im Frühjahr 1961 auch tat. Für Dynamo habe ich aufgrund einer schwere Mandelentzündung aber kaum gespielt. Außerdem wollte ich unbedingt Medizin studieren und habe dafür im Juli auch eine Zusage bekommen – von der Uni Leipzig. Das Studium sollte im September losgehen. Dann kam jedoch im August diese unsägliche Mauer dazwischen. Kein Mensch wusste was los war, es ging drunter und drüber. Und mir wurde zu Lasten gelegt, dass ich in einer Zeit der höchsten Gefahr für die Republik nicht mit der Waffe in der Hand die Grenzen beschützt habe, sondern schon im August von Dynamo und somit aus Berlin weggegangen bin.

ecke: War Ihnen in dem Moment bewusst, welche Konsequenzen Ihr Weggang haben würde?

Bauchspieß: Nein. Aber ich konnte als junger Mensch die Situation in Berlin nicht einschätzen und hatte einfach Angst um meinen Studienplatz. Da bin ich so schnell wie möglich nach Leipzig gegangen. Ich wurde dann zu Manfred Ewald, dem höchsten Sportfunktionär der DDR bestellt. Der hat mich ordentlich zur Brust genommen. »Sie können zwar Fußball spielen, aber die Genüsse eines Sportclubs können Sie sich abschminken«, hieß es da. Doch zum Glück konnte ich wenigstens meinen Studienplatz behalten, darum habe ich auch gekämpft. »Werden Sie ein guter Arzt, und dann reden wir irgendwann weiter«, sagte Ewald noch. Aber ich hatte das Gefühl, er dachte, das packt der Bauchspieß sowieso nicht. Und das war auch während meines gesamten Studiums ein Motivationsstachel für mich.

ecke: Was genau hätten Sie laut Ewald im August 1961 denn tun sollen?

Bauchspieß: Es wurde von jedem fortschrittlichen sozialistischen Spitzensportler erwartet, mit der Waffe an der Hand an der Mauer zu stehen.

ecke: Wie wurde den Sportlern das kommuniziert?

Bauchspieß: Viele Trainer, wie zum Beispiel Fritz Belger, haben das ihren Spielern schon deutlich gemacht.

ecke: Haben Sie den direkten Befehl erhalten die Mauer zu verteidigen?

Bauchspieß: Nein, ich hatte mich wie gesagt meiner Meinung nach ordnungsgemäß aus Berlin abgemeldet und war auf dem Sprung nach Leipzig. Da hat man sich in dem Chaos nicht groß um mich gekümmert. Das kam erst später.

ecke: Als Student waren Sie nun in Leipzig, als talentierter Fußballer spielten sie jedoch zunächst nur für die BSG Chemie Zeitz. Fühlten sie sich unterfordert?

Bauchspieß: Überhaupt nicht. Nach Zeitz zurückzugehen war das einzig Richtige. Wir hatten keine schlechte Mannschaft. Und ich musste nur einmal die Woche trainieren. Eigentlich war das mein Glück. Denn es wäre unmöglich gewesen bei einem Sportclub ein bis zweimal am Tag zu trainieren und gleichzeitig das Medizinstudium zu packen. Und so bin ich immer nur sonntags früh nach Zeitz gefahren, habe gespielt und abends ging es wieder zurück nach Leipzig. Da blieb genügend Zeit zum Lernen. Außerdem hatte ich eine herrliche Leipziger Studentenzeit. Wie oft wir im Café Corso oder im Coffe Baum saßen und diskutiert haben. Das waren zwei der wenigen Orte, an denen man noch das Gefühl hatte frei seine Meinung sagen zu können.

ecke: Nach zwei Jahren in Zeitz wechselten Sie dann 1963 aber doch nach Leipzig und hatten bei der BSG Chemie Ihre erfolgreichste Zeit. Wie lief der Wechsel ab?

Bauchspieß: Ich war schon mit dem Physikum fertig und bekam mit, dass man in Leipzig dabei war eine starke Mannschaft zusammenzustellen, den SC Leipzig. Dort sollten die besten Spieler von Lok Leipzig und Rotation Leipzig zusammenspielen. Ich wollte da sehr gerne hin, aber der neue Clubleiter bekam vom Verband gleich gesagt: »Bauchspieß nicht«. Es haben sich noch mehrere Funktionäre für mich eingesetzt, aber Mielke und Konsorten waren stärker. Da man in Leipzig jedoch unbedingt zwei Oberligavereine haben wollte, wurde auch noch die BSG Chemie Leipzig neu gegründet. Der habe ich man dann angeschlossen. Ich musste während des Studiums schließlich auch ein paar Pfennige verdienen. Im Nachhinein war das für mich wieder ein Glücksfall.

ecke: Bei der BSG Chemie sollten lediglich die »nicht förderungswürdigen Spieler« spielen, der sogenannte »Rest von Leipzig«. Trotzdem wurden Sie mit dieser Mannschaft gleich im ersten Jahr Meister. Was war das Erfolgsgeheimnis ?

Bauchspieß: Wir haben uns eben in der Rolle des klassischen Underdogs wohlgefühlt. Wir hatten keinen Druck. Und obwohl wir alle verschiedenen Berufen nachgingen, war der Zusammenhalt in der Mannschaft sehr groß. Das ist bis heute so. Wir treffen uns jedes Jahr, dieses Jahr zum fünfzigsten Mal.

Mehrfacher Oberliga-Torschützenkönig: Bernd Bauchspieß (Bild: privat)

Mehrfacher Oberliga-Torschützenkönig: Bernd Bauchspieß (Bild: privat)

ecke: Wie haben Sie trotz Sperre den Sprung in DDR-Olympiamannschaft geschafft?

Bauchspieß: Ich glaube der neue Nationaltrainer Károly Soós hatte mich schon länger beobachtet. Und ich habe bei Chemie wirklich groß aufgespielt. Im Spiel gegen meinen Ex-Verein Dynamo Berlin saß er dann auf der Tribüne und hat gesehen wie ich zwei Tore erzielte und zwei weitere auflegte. Da wurden schon erste Stimmen laut: »Bauchspieß nach Tokio«. Wenig später wurde ich dann ins Astoria bestellt, wo verschiedene hohe Sportfunktionäre versammelt waren. Ich galt nach den Vorfällen von 1961 und meiner Sperre ja als Problemfall und stand stets im Verdacht flüchten zu wollen. Im Astoria hieß es dann ohne Umschweife: »Na Spitzi, willst du nun abhauen oder nicht?« Ich antwortete nur: »Ich habe meinen Studienplatz hier, meine Freunde, meine Eltern. Ich haue nicht ab«. Das war anscheinend überzeugend. Eine Woche später war ich schon auf dem Weg nach Tokio.

ecke: Was war letztendlich der Grund für Ihre Begnadigung?

Bauchspieß: Das war ganz klar Károly Soós. Der Mann hatte im Gegensatz zu meinem regimekritischen Vereinstrainer Alfred Kunze eine Lobby. Er kannte die richtigen Leute im ZK und die haben das schließlich abgenickt. Deswegen habe ich bei Soós auch nie Theater gemacht, wenn ich mal nicht gespielt habe. Ich wusste, was ich ihm zu verdanken hatte.

ecke: Die DDR-Nationalmannschaft schaffte es trotz der Südamerikareise nicht, sich für die WM 1966 zu qualifizieren. Und auch Ihre Nationalmannschaftskarriere war vorbei, bevor sie richtig angefangen hatte. Wieso?

Bauchspieß: Nach der verpassten WM-Qualifikation habe ich mich wieder stärker auf mein Studium konzentriert. Eine Nationalmannschaftskarriere wäre damit nicht zu vereinbaren gewesen. Und als ich wieder mehr Zeit hatte, war der Zug abgefahren. Dem neuen Nationaltrainer Seeger war ich zu alt.

ecke: Apropos: Sie werden dieses Jahr 75 und praktizieren immer noch als Orthopäde in Ihrer Leipziger Praxis. Wie lange wollen Sie noch weitermachen?

Bauchspieß: Solange es mir Freude macht. Und das werden sicherlich noch ein paar Jährchen sein.

 

Dieses Interview ist am 23.5. in der Juni-Ausgabe des Leipziger Stadtmagazins kreuzer erschienen.